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Der direkte Weg zum Konsumenten
B2B
05.02.2021
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Commerce-Berater Frank Holzweißig DtC: "Marken sollten die ganze Sortimentsbreite online zeigen"

Shutterstock/Pixelvario
Shutterstock/Pixelvario

Marken suchen den direkten Kontakt zu ihren Kunden, das Mittel dazu ist meist der Online Shop. Das bringt Vorteile mit sich, löst aber auch Konflikte aus. Im Interview spricht Commerce-Berater Frank Holzweißig über die Herausforderungen des Direct-to-Consumer-Wegs.

Wenn Marken damit beginnen, ihre Produkte direkt an Konsumenten zu verkaufen, werden Änderungen in Unternehmensprozessen nötig und es kommt zu Konflikten. Wie Unternehmen mit den Herausforderungen umgehen und darauf reagieren können, erklärt Commerce-Berater .

Holzweißig ist Gründer von Fitstore.de, einem Online-Handel für Sportartikel. Er leitete das Unternehmen 15 Jahre lang als Geschäftsführer. Nach seinem Exit 2015 unterstützte er Hersteller und Marken als Berater und Projektleiter bei den Themen Digitalstrategie, Direct-to-Consumer (DtC) und Software-Architektur. Seit 2017 verantwortet er zusätzlich das E-Commerce-Geschäft und die digitale Transformation bei der Rotho Kunststoff AG.

Was sind die Knackpunkte, wenn Marken und Hersteller in den Direktvertrieb einsteigen?
Frank Holzweißig:
Ein wichtiger Punkt ist die Angst vor Kanalkonflikten mit der bestehenden Retail-Kundschaft, da Marken dann plötzlich im gleichen Kanal sichtbar werden, in dem der Handel schon lange ist.

Wie können Unternehmen diesen Konflikt angehen und lösen?
Holzweißig:
Der einfachste Weg ist es, den Konflikt zu umgehen, was den Start erleichtern kann. So könnte   ein eingeschränktes Sortiment, beispielsweise Restposten, End-of-Life-Artikel oder Ersatzteile, konfliktfrei angeboten werden. Eine Marke hat online den Vorteil, dass sie ihre ganze Sortimentsbreite zeigen kann. Das können Händler meist deshalb nicht, weil sie nicht das ganze Sortiment führen. Marken sollten das ganze Sortiment online zeigen und haben Spielraum bei der Preisgestaltung. Wenn sie höhere Preise verlangen als die unverbindliche Preisempfehlung, an der sich der Handel orientiert, werden sie von Retailern nicht zwangsweise als Wettbewerb gesehen.

Frank Holzweissig

Frank Holzweißig ist Commerce-Berater. Seit 2017 verantwortet er zusätzlich das E-Commerce-Geschäft und die digitale Transformation bei der Rotho Kunststoff AG.

Frank Holzweißig

Wenn Unternehmen aber die Produkte in ihrem eigenen Shop teurer anbieten als der Handel, kauft dann überhaupt jemand direkt beim Hersteller?
Holzweißig:
Erfahrungsgemäß tun das in vielen Sortimenten sogar sehr viele Kunden. Geschätzt wird hier der Zugriff auf die gesamte Sortimentsbreite, insbesondere neue Artikel und ältere Produktlinien. Die gesamte Produktpalette kann ja kaum ein Händler anbieten. Kunden können den Warenkorb aus allen Produkten zusammenstellen, statt sie bei diversen Online-Händlern zusammenzusuchen und überall Lieferkosten bezahlen zu müssen.

Online Shop ist für Vertriebsmitarbeiter wie ein interner Wettbewerber

Die Vertriebsleute des Unternehmens dürften auch nicht froh darüber sein, dass das eigene Unternehmen ihren Handelskunden Konkurrenz macht.
Holzweißig:
Ja. Wenn ein Unternehmen beginnt, selbst online zu verkaufen, gibt es klassische Zielkonflikte mit den internen Vertriebseinheiten und -gesellschaften, die von ihren Retail-Kunden damit konfrontiert werden. Der Online Shop ist für Vertriebsmitarbeiter dann wie ein interner Wettbewerber. Die Angst besteht, dass Umsätze von deren Retail-Kunden weggehen. Also haben sie erst einmal kein Interesse an einem Direktverkauf.

Wie kann man denn den eigenen Vertrieb mit ins Boot holen?
Holzweißig:
Es ist ganz wichtig, transparent zu kommunizieren, warum das Unternehmen diesen Schritt geht und warum der Weg Vorteile bringen wird. Ein wesentlicher Vorteil ist zum Beispiel die professionelle Darstellung der Marke und der Produkte gegenüber den Konsumenten. Die Produkte werden in den meisten Fällen ohnehin online auf Marktplätzen und Retail Online Shops angeboten. Die Marke übernimmt mit dem eigenen Angebot jedoch selbst die Verantwortung für die Präsentation der Produkte und überlässt dies nicht dem "Wilden Westen", der auf Amazon, eBay und in vielen Online Shops herrscht.

Anspruchsvolle Logistik

Neuland betreten Hersteller mit DtC auch beim Thema Logistik. Worin liegen die Herausforderungen?
Holzweißig:
Im Kontakt mit den Konsumenten gibt es viel mehr und kleinere Geschäftsvorfälle, als das produzierende Unternehmen gewöhnt sind. Ein Hersteller verkauft seine Ware lieber truckweise - schon gemischte Paletten sind oft schwierig. Dafür hat er die passenden Tools. Wenn er nun aber versucht, die kleinteiligen Geschäftsprozesse über die gleichen Tools abzuwickeln, kann das sehr schnell sehr anstrengend werden. Es braucht daher Lösungen, die stärker automatisiert sind und reibungslos funktionieren. Die Performance, die der Markt heute nachfragt, ist nicht ohne. eBay beispielsweise erwartet 97 Prozent Liefertreue, wenn ich als Händler dabei sein will. Der Endkunde in Deutschland erwartet einen Same-Day oder Next-Day-Versand. Diese Faktoren sind härter als in der Groß-Logistik. Dort hat der Hersteller die Möglichkeit, mit dem Empfänger über eventuelle Schwierigkeiten zu sprechen und Kompromisse anzubieten Diese Möglichkeit entfällt in der Endkundenlogistik, was oft ein anderes Mindset erfordert.

Was bedeutet das für die Organisation des Unternehmens?
Holzweißig:
Es bedeutet in erster Linie, dass eine Organisation, die nur mit diesen größeren Strukturen und eher unveränderlichen Prozessen vertraut ist, lernen muss, sich in einer ganz anderen, viel schnelleren Welt zurechtzufinden. Da treffen schon bei den Tools Welten aufeinander: Im DtC-Umfeld sind ganz andere Software-Anbieter, andere Dienstleister und Agenturen unterwegs als im Großkundengeschäft.

Welche Lösungen brauchen Hersteller für den Direktvertrieb und wie finden Sie heraus, was Sie wirklich brauchen?
Holzweißig:
Das ist tatsächlich eine große Schwierigkeit. Ich bin ein Freund davon, mit Best Practices zu arbeiten, also zu schauen, welche Lösung im Markt verbreitet ist und womit andere arbeiten, die Vergleichbares tun und damit erfolgreich sind. Außerdem hilft die Erfahrung von Beratern. Allerdings muss man auch da erst die richtigen finden. Ich sehe, dass da viele Unternehmen in langen Lernkurven unterwegs sind, weil sie auch mal fünf oder zehn Jahre mit einer ungeeigneten Software-Architektur verbringen. Oft wird der Wechsel erschwert, wenn das Invest in ein System hoch war und das verblendet den Blick auf andere Lösungen. Da die Märkte und Technologien sich so schnell verändern, ist es enorm wichtig an jeder Stelle in der Lage zu sein, nach vorne gerichtete Entscheidungen zu treffen und den Mut zu haben bestehende Lösungen loszulassen, auch wenn sie eine hohe Investition dargestellt haben. Der Fokus zur Entscheidungsfindung muss immer auf den aktuellen Wert der Lösung liegen, um zu vermeiden, dass an veralteten Lösungen festgehalten wird.

Wenn Hersteller geeignete Partner suchen, sei es in der Logistik oder auf Agenturseite, wie ist Ihre Erfahrung: Wissen diese Partner, welche Besonderheiten ein Hersteller im Vergleich zu einem Händler mitbringt und ist ihnen bewusst, dass sie es mit einem Anfänger beim Verkauf an Konsumenten zu tun haben?
Holzweißig:
Das ist ein ganz spannender Punkt. Denn es stimmt: Die meisten Hersteller sind Anfänger auf diesem Gebiet. Sie sind es gewohnt, oft höhere Summen für Software-Lösungen zu investieren als das bei kleineren, schnellen Online-Händlern üblich ist. Ich erlebe regelmässig, dass völlig überteuerte Dienstleistungen und Lösungen angeboten werden. Zusätzlich besteht die Gefahr, als Neuling auf dem Gebiet in Abhängigkeiten zu diesen Partnern zu geraten.

Was hilft dagegen?
Holzweißig:
Erfahrung sammeln und Partner finden, die entsprechende Projekte schon einmal nachweislich erfolgreich durchgeführt haben. Netzwerken ist hier sehr wichtig, weil ich dann andere nach ihren Erfahrungen fragen und mir so eventuell viel Mühe sparen kann. Und es ist wichtig, den Mut zu haben, alte Zöpfe ganz schnell abzuschneiden und Tools nicht zu lange zu behalten, nur weil sie einmal viel Geld gekostet haben. Hilfreich ist auch der Vergleich etwa mit Start-ups, die trotz geringer Ressourcen innerhalb von zwei Tagen einen kompletten Webshop launchen können. Wenn man selbst mehrere Jahre dafür braucht und es obendrein sehr viel teurer ist, dann sollten sich die Entscheider im Unternehmen anschauen, woran das liegt. 

Was sind denn aus Ihrer Sicht die Gründe für solche Fehlentwicklungen?
Holzweißig:
Ein Problem sehe ich darin, dass Hersteller sich bei Wahl der Partner oft in ihrem bekannten Kosmos umschauen. Viele dieser Partner bieten zwar DtC-Dienste an, haben  aber oft selbst noch nicht viel Erfahrung damit. Ein anderes ist die mangelnde Erfahrung des Herstellers. Viele arbeiten noch mit alten Methoden des Projektmanagements, fragen erst einmal alle Beteiligten, was sie für Wünsche an eine neue Software haben und stellen daraus Anforderungskataloge zusammen. Viele Beteiligte haben aber gar keine Vorstellung davon, wie viel Komplexität ein vermeintlich einfacher Wunsch auslösen kann. Und wenn sich die Agentur dann auch nicht gut auskennt, oder gar die Situation für sich aus monetären Überlegungen zu nutzen weiß, sagt sie 'ok, machen wir' und schon haben Sie ein teures, langwieriges Projekt.

Wie lässt sich das verhindern?
Holzweißig:
Zum einen ist es wichtig, dass es im Haus einen Verantwortlichen gibt, der ein gutes Verständnis und ein klares Bild davon hat, wie es werden soll. Ich empfehle in jedem Fall, sich erst einmal an Standardlösungen von der Stange zu orientieren, um Wildwuchs zu vermeiden. Und wenn ich dann überlege, dieses Standardsystem an meine Vorstellungen anzupassen, müssen dafür schon gewichtige Gründe vorliegen. Meine goldene Regel lautet: Vermeide Customizing.

Lesen Sie mehr über Direct-to-Consumer-Strategien in der Ausgabe 2/2021 von Internet World Business.

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