Ralph Hübner von D2C Advisors
Ralph Hübner von D2C Advisors
Der Megatrend D2C schwappt vom B2C- auch in den B2B-Markt. Welche Potenziale können Hersteller durch den Direktvertrieb an ihre Kunden erschließen? Und welche Herausforderungen gilt es zu überwinden?
Neun Prozent des gesamten B2B-Fertigungsumsatzes erzielen US-Hersteller in den USA über D2C-Kanäle, ermittelte Digital Commerce 360. Doch viele tun sich mit dem direkten Kundenkontakt noch schwer. Ralph Hübner von D2C Advisors gibt auf der Online B2B-Konferenz am 6. Juli in München einen Überblick über die Geschehnisse auf dem deutschen Markt. Vorab trafen wir ihn zum Interview.
Im Consumer-Segment ist D2C aktuell ein Mega-Trend. Wie sieht es im B2B aus?
Ralph Hübner: Ein wenig noch hinterher, aber dann auch: same same but different. Für alle B2C-Brands ist es von höchstem Interesse, den Direktkundenkontakt zu etablieren. Nicht nur, um auch in Krisenzeiten Umsatz zu erwirtschaften, sondern vor allem, um von den eigenen Kunden aus erster Hand zu erfahren, wie sie neue Produkte finden, anwenden und wo sie Stärken und Schwächen sehen. Das gilt auch für den B2B-Markt. Bei ganz vielen B2B-Produkten, egal ob das Ausstattungsgegenstände sind, Gebrauchsgegenstände, technische Geräte oder Baumaschinen, liegen zwischen dem Hersteller und dem Verwender ja oft mehrere Wertschöpfungsstufen. Und der Informationstransfer zwischen Hersteller und Verwender ist in beide Richtungen katastrophal. Branchenmessen, auf denen dieser Austausch stattfindet, werden ja oft nur alle paar Jahre ausgerichtet. Aber wir leben in einer Zeit, wo Produktlebenszyklen immer kürzer werden, Anbieter aus Drittmärkten wie Asien, die man früher raushalten konnte, über Online-Kanäle jetzt plötzlich Zugang zur eigenen Kundschaft finden und weil man im B2B nicht so leicht Beta-Testing spielen kann. Es ist schließlich suboptimal, wenn jemand in einem Kran sitzt, der ein MVP ist.
Ist die Kundennähe der einzige Treiber?
Hübner: Nein, da gibt es noch etliche mehr. Beispielsweise geht es im B2B spannenderweise viel stärker um wiederkehrende Käufer. Da ist die Etablierung des Endnutzerkontakts sehr vielversprechend. Auch Themen wie Circular Economy und Nachhaltigkeit befeuern den Trend. Wer über Zweitverwertung oder Produkterhaltung nachdenkt, muss als Hersteller den Direktzugang zum Kunden haben. Nur so können sie beispielsweise darauf hinweisen, wann Ersatzteile getauscht werden müssen, damit ein Produkt länger hält. Diesen Direktkontakt wird ein Händler in 99 Prozent der Fälle nicht abbilden können, weil die Sortimente im B2B um ein Vielfaches größer, breiter und tiefer sind als im B2C. Darüber hinaus können B2B-Unternehmen auch Themen wie Customizing und Personalisierung neu denken. Das war zwar schon immer wichtig, aber jetzt machen technische Lösungen wie Augmented Reality oder IoT noch mehr möglich. Aber auch auf diese Trends kann ich als B2B-Unternehmen nur aufsetzen, wenn ich einen D2C-Case aufziehe. Und zu guter Letzt zwingen vielleicht auch die Marktgegebenheiten die Hersteller dazu, D2C zu gehen. Vor allem bei Commodity-Produkten ist die Vergleichbarkeit sehr stark. Wenn neue disruptive Nischenplayer versuchen, diese Commodity-Märkte zu standardisieren und digitalisieren, wünscht sich so mancher Hersteller vermutlich die vormalige Abhängigkeit vom Handel zurück. Denn wer im Gefängnis einer Plattform sitzt, kombiniert das Schlechte aller Welten: Neben dem Hersteller verkaufen auch die Händler und quietschen, weil sie fast nichts mehr verdienen. Und die Plattform managt den Kundenkontakt. Spannende Beispiele zur Veranschaulichung dieser Ansätze im B2B sind hier aktuell sicherlich Choco und Schüttflix
Ist denn das D2C-Geschäft für B2B-Hersteller schwerer zu realisieren als für Consumer-Brands?
Hübner: Auf jeden Fall kann ein B2B-Unternehmen, anders als Adidas oder Nike, nicht einfach so sagen, ich überspringe jetzt die Vertriebsstufen und mache alles selbst. Im B2B sind viele Hersteller ja in ein System verschiedener Gewerke sowie Produkt-Dienstleistungs-Mixes eingebunden. Da gilt es vor- und nachgelagerte Prozesse mitzudenken. Auf einer Baustelle beispielsweise braucht ein Unternehmen Dutzende Maschinen, die nicht alle vom gleichen Hersteller kommen. Und zu den Maschinen braucht es Service-Provider oder Vormateriallieferanten. D2C im B2B ist also kein Ego-Shooter-Game. Ein Unternehmen kann zwar die Führung im Kundenkontakt übernehmen, muss aber auch andere Player der Wertschöpfungskette integrieren. Hier ist Kollaboration gefragt. Aber das ist alleine schon aus DSGVO-Perspektive wirklich anspruchsvoll.
Sprechen wir bei D2C im B2B damit immer von einem Plattformmodell?
Hübner: Durchaus. Das Plattformmodell bzw. der Ökosystem-Gedanke sind hier schon die dominanten Ansätze. Hersteller müssen sich die Frage stellen, wie systemrelevant oder dominant sie in dieser Prozesskette sind. Akzeptiert der Kunde das Unternehmen als Leader im Plattform-Game. Akzeptieren auch die anderen Partner das Unternehmen in dieser Rolle? Ist das Unternehmen derjenige, der qua Positionierung die Datenhoheit haben muss, weil es zum Beispiel Garantieverlängerungen gewährt und die anderen ordnen sich unter? Das muss gut überlegt sein.
Traue ich mir zu, die Führung zu übernehmen?
Und wenn die Antwort nein ist? Ist D2C damit gestorben?
Hübner: Die wichtige Frage ist, traue ich mir zu, die Führung zu übernehmen oder bin ich Mitläufer? Wenn ich Mitläufer bin, sollte ich zusehen, so elegant wie möglich an Daten zu kommen und vielleicht über die Zeit einen neuen USP entwickeln, der den Zugang ermöglicht. Oder man fokussiert auf Randzielgruppen neben dem eigentlichen Kerngeschäft. Wenn ich beispielsweise Klebstoffe oder Folien entwickle, dann kann ich nicht nur Automobilwerkstätten oder Handwerksbetriebe beliefern, sondern vielleicht auch Künstler oder sogar Familien, die damit basteln und hier meine ersten Kundenkontakte etablieren und Feedback zu meinen Produkten einsammeln. Allerdings kollidiert dieser Ansatz ein bisschen mit der immer parallel laufenden Plattform- beziehungsweise Marktplatzfrage.
Viele klassischen Consumer-Brands tun sich mit D2C-Modellen derzeit noch schwer. Sind die B2B-Unternehmen da kreativer?
Hübner: Tatsächlich bin ich selber oft überrascht, in Projekten von Herstellern erzählt zu bekommen, welche D2C-Ansätze sie schon seit langem gedanklich in der Pipeline haben, die bislang surreal waren, aber jetzt technisch möglich werden. Viele emotionale Barrieren für D2C sind im B2B nach meiner Wahrnehmung nicht so stark gegeben wie in Consumermärkten.
Was sind die größten Herausforderungen?
Hübner: Technologie und Logistik. Das ist in B2B-Unternehmen oftmals noch gravierender als bei den Consumer-Brands. Abgesehen davon, dass wir in Berlin Mitte erwarten, dass die Gorillas innerhalb von 10 Minuten an der Tür klingeln, hat der Endkonsument bei der Lieferung eine gewisse Kulanz. Im B2B ist das nicht gegeben. Hier brauchen Einkäufer und Verwender einen exakten und verlässlichen Lieferzeitpunkt, sonst steht die Baustelle still. Diese logistische Kompetenz haben die meisten Hersteller allerdings (noch) nicht. Viele Handelsstrukturen sind gewohnt, dass der Abnehmer kommt und sich die Ware abholt. Technologieseitig treffen zwei Dinge aufeinander: Für die D2C-Cases braucht man ähnlich wie im B2C E-Commerce-fähige Systeme. Aber die Legacy-Systeme sind in den B2B-Unternehmen oft noch schlimmer als in B2C-Firmen. Und gleichzeitig sind die Cases viel viel komplexer. Das betrifft nahezu immer die Preis- und Konditionenmodelle, die eben auch gänzlich andere Anforderungen an die Kundendatenverwaltung, die das CRM-Thema mit sich bringen. Das Thema poppt aber oft vergleichsweise spät als Problem auf. Die erste Stolperfalle ist zumeist das umfassende Sortiment und die sehr spezifischen Datenbedarfe. Ohne voll funktionsfähiges PIM, in dem Produktbeschreibungen, Auf- und Abwärtskompatibilitäten sowie Anwendungsfälle angelegt werden können, geht es nicht. Darüber hinaus müssen die Hersteller alle Individualfälle der Kunden, die bisher die Händler mit ihrer jahrelangen Erfahrung persönlich abgefangen haben, selbst abbilden. Und den persönlichen Kundenkontakt und Kundenservice aufbauen zu müssen, ist alles andere als trivial. B2B-Hersteller sind gewohnt, mit ihren Händlern über Lieferzeitpunkte oder eine Fakturakorrektur zu sprechen. Einkäufer oder Anwender ihrer "Endkunden" zu betreuen, ist für sie hingegen Neuland, sowohl prozessual und inhaltlich als auch kulturell.
6. Juli in München
Online B2B Conference 2022
Laut einer Studie von McKinsey & Company kaufen drei Viertel aller B2B-Ein- und Verkäufer inzwischen lieber über das Internet. Persönliche Verkaufsgespräche sind nur noch für wenige relevant. Der Handlungsdruck in Sachen Digitalisierung ist also enorm.
Auf der Online B2B Conference geben wir Ihnen einen fundierten Einblick in die relevantesten Bereiche:
- Customer Experience
- B2B-Marktplätze
- Prozess-Digitalisierung
- Tech-Stack
- B2B-Marketing
Jetzt Ticket sichern: https://www.onlineb2b.de
Atomreaktorausstattung auf Facebook
Wie sieht es mit dem Marketing aus? Auch eine Herausforderung oder einfacher als im B2C, weil die Konkurrenz online noch nicht so hoch ist?
Hübner: Ich sehe es eher als Herausforderung. Das SEO/SEA-/Social-Media-Spiel, das die Consumer-Brands im B2C-Markt spielen, funktioniert im B2B so nicht. Man kann ja bei Facebook schlecht auf Atomreaktorenausstattung targeten. Auf YouTube hingegen funktioniert schon einiges. In den meisten B2B-Fällen ist aber eine smarte Mischung aus Online- und Offline-Kanälen und Referrals gefragt. Da ist noch viel Gestaltungspotenzial.
Wo sind denn die deutschen D2C-Vorzeigeunternehmen im Bereich B2B?
Hübner: Da gibt es einige, die ihren Job sehr gut machen und das Mindset haben, zuerst an den Kunden zu denken. Exemplarisch kann man hier sicherlich Hilti nennen. Bei Hilti kann man beispielsweise schon länger per 3D-Druck Dübel baustellenindividuell konfigurieren und dann drucken.
Und wo kriegt man die Mitarbeiter her, die D2C im B2B können?
Hübner: 90 Prozent der Manager im B2B haben natürlich keine D2C-Erfahrung. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Experten aus den Consumer-Märkten Lust haben, in den nicht so blutgetränkten B2B-Märkten wirklich gestalterisch tätig zu sein. Wir haben in B2B-Märkten sehr hohe Margensituationen, sogar in mehrstufigen Vertriebsmodellen ist auf jeder Position ein Auskommen gewährt. Da lässt sich ein bisschen Marge gut einsetzen für Entwicklung und Innovation. Darüber hinaus sind viele Branchen auch noch nicht so sehr in geistig-emotionaler Geiselhaft von Amazon. Die Startbedingungen sind also besser als im B2C-Markt. Ich glaube, es ist für viele der perfekte Zeitpunkt, um in D2C einzusteigen. Nachdem fast zwei Jahre alle Messen ausgefallen sind, können nun Marktstrukturen und Business-Logiken wirklich neu gestaltet werden.